Der zweite Besuchstag der südafrikanischen Delegation in unserem Kirchenkreis
Auf dem Programm stand „Grundlagen der Reformation“ und Umgang mit der Aufarbeitung der historischen Vergangenheit in Deutschland und in Südafrika – Austausch über friedenpädagogische Ansätze.
Bei strahlendem Sonnenschein traf die südafrikanisch-deutsche Delegation vor der Lagerkirche im POW Camp (prisoners of war) in Sandbostel auf Pastor Manfred Thoden.
Anhand von drei Liedern Martin Luthers (u.a. „Eine feste Burg“ und „Vom Himmel hoch da komm ich her“) und des Katechismus präsentierte Pastor Thoden in lebendiger Weise die reformatorischen Grundaussagen. Die Erläuterung des Ständewesen im Mittelalter, bei dem es keine Möglichkeit für die Armen gab, in eine andere Schicht aufzusteigen, erinnerte die südafrikanischen Gäste an die Klassifizierung der Menschen in Apartheidzeiten: „Bei uns war die Klasse von Geburt an von der Behörde festgelegt und was im Pass eingetragen war, das hatte bis ans Lebensende Gültigkeit, es gab kein Entkommen“ erwähnte Nomsa aus eNtombe mit ernstem Gesichtsausdruck. Dass Luther mit seiner Theologie, dem Priestertum aller Getauften, dem Ständewesen ein Schnäppchen geschlagen und eine Revolution in der damaligen Kirche losgetreten hat, die ihre Wirkung zeigt, kommt in beiden lutherischen Kirchen - der südafrikanische und der hannoverschen - bis heute zum Tragen. In einem Bild hat Lucas Cranach diese Befreiung, nämlich vor Gott gleich zu sein, festgehalten, indem er Frauen und Männer, Kinder und sogar Hunde miteinander und durcheinander um die Kanzel stellt, die dem Prediger gespannt lauschen. Eine bis dahin ungeheuerliche Tatsache. „Ich freue mich, das Bild bald in echt zu sehen“, sagte Oupa Mabizela, „wenn wir in ein paar Tagen nach Wittenberg fahren.“
Eine absolut neue Erkenntnis für alle Beteiligten war, dass das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott, eine gute Wehr und Waffen“ nicht den militanten Unterton aufweist, den wir immer mit hören. Nein, Luther will uns mit diesem Lied das Gegenteil sagen: Wir brauchen keine Mauern und keine Waffen, wenn wir Gott haben und an ihn glauben. Er ist unser Schutz und Heil. „Und ich hatte immer Schwierigkeiten, das Lied mitzusingen“ betonte eine deutsche Delegierte, „und jetzt sehe ich es in einem ganz anderen Licht! Ein tolles, geradezu pazifistisches Lied.“
Nachmittags ging es dann in die Gedenkstätte. Während des Vortrags von Diakon Michael Freitag-Parey, der als friedenspädagogische Fachkraft an der Gedenkstätte aktiv ist, erfuhren die Kirchenkreismitglieder und ihre Gäste aus Südafrika mehr über die persönlichen Schicksale der Kriegsgefangenen. „Die Gefangenen aus der damaligen Sowjetunion wurden aus politischen Gründen besonders schlecht behandelt, trotz völkerrechtlicher Verträge“, erklärte Freitag-Parey. Hunderttausende Menschen aus über 45 Ländern durchliefen das Lager unter Torturen, 3000 von Ihnen starben an Seuchen, Hunger oder den Folgen von Gewalttaten deutscher Soldaten. Als erneut der Verweis auf die Klassifizierung von Menschen und die Degradierung zu „Untermenschen“ aufkam und auch Themen wie Vergebung und Versöhnung thematisiert wurden, wurde allen klar: In der deutschen Vergangenheit sind mehr Parallelen zur Geschichte des südafrikanischen Apartheidregimes vorhanden, als wir bisher dachten. „Wie groß ist dein Gott?“, wunderte sich einst ein ausländischer Jugendlicher, als Michael Freitag-Parey ihm davon erzählte, wie die Alliierten den gefangenen deutschen Soldaten nach der Befreiung des Lagers eine zweite Chance gaben und ihnen sogar erlaubten, eine Kirche zu errichten. Eine Frage, die die Beteiligten nicht mehr losließ. „Wie kann man so jemanden verzeihen, nach all den grauenhaften Dingen, die hier passiert sind?“, fragte staunend Phesheya , einer der südafrikanischen Besucher, als sich die Gruppe im Anschluss an den Vortrag während des Rundgangs in den Räumen der Gefangenen ein Bild von den damaligen Verhältnissen machen konnte. „Ja, unglaublich. „Wie groß ist dein Gott?“ Das ist ein großartige Frage“, antwortete sein Freund Celcolo nachdenklich, ehe sie zu einer Diskussion über die aktuelle Lage Südafrikas übergingen.