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Fragen und Antworten zu Elsdorf

Nachricht 30. September 2024
Die Kirche in Elsdorf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden vielfach Heimkinder in Pflegestellen untergebracht und haben dort oft Vernachlässigung, physische, psychische und sexualisierte Gewalt erlebt. 

In den 1950er und 1960er Jahren hat auch die Pestalozzi-Stiftung (Burgwedel) Kinder und Jugendliche in Pflegestellen auf Gehöften oder in Handwerksbetrieben in Elsdorf und Umgebung (Landkreis Rotenburg) untergebracht. Dies geschah in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Pfarramt der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde. 

Dem Kirchenkreis Bremervörde-Zeven, zu dem die Kirchengemeinde Elsdorf heute gehört, und der Landeskirche Hannovers liegen neue Hinweise vor, dass die aus der Heimunterbringung vermittelten Kinder und Jugendlichen in jener Zeit Gewalt und Sexualisierte Gewalt in den Pflegestellen erlitten haben. Diese Hinweise wurden am 23.09.2024 öffentlich gemacht.

Nach der Veröffentlichung sind viele Fragen aufgetaucht. Wir wollen diese Fragen aufgreifen und sie bestmöglich beantworten. Wenn Sie weitere Fragen haben oder unsere Antworten für unzureichend halten, lassen Sie es uns bitte wissen

Fragen und Antworten

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Nein! Ende Januar 2024 hat ein unabhängiger Forschungsverbund die ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie in Deutschland vorgestellt. Dieser Wisschenschaftlerverbund hat sich aus Wissenschaftler*innen verschiedener Fachbereiche zusammengesetzt. Kurz vor Veröffentlichung der Ergebnisse dieser Studie sind die Kirchenkreise über das in ihren Bereichen geschehene Unrecht informiert und zugleich aufgefordert worden, sich aktiv an dem notwendigen Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozess zu beteiligen.

Ausgangspunkt ist die oben angesprochene ForuM-Studie und das tiefe Erschrecken darüber, welches Unrecht Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angetan wurde. Die gesamte Kirche ist aufgefordert, sich dem Geschehenen zu stellen, an dem Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozess mitzuwirken, für eine Anerkennung des erlittenen Unrechts einzutreten und zukünftig alles Erdenkliche dafür zu tun, sexualisierte Gewalt und andere Missbrauchsformen zu verhindern. Landesbischof Ralf Meister hat nach Veröffentlichung der Studie gesagt: „Für mich ist deutlich: Die Kirche, auf die wir zugehen, darf und wird nicht die Kirche sein, die jetzt ist.“ Es gelte, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und Kommunikationsräume zu öffnen. „Wir müssen“, sagt Bischof Meister, „in unserer Kirche weiter an einer Kultur arbeiten, in der Sexualisierte Gewalt keinen Raum hat und in der Betroffene ermutigt werden, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.“

Nein. Der Kirchenvorstand wurde im Juni 2024 von den Hinweisen auf sexualisierte Gewalt informiert. 2014 hat eine betroffene Personen einen Antrag an die Anerkennungskommission gestellt. Die Anerkennungskommission hat die Aufgabe, Schilderungen von betroffenen Personen auf Plausibilität zu überprüfen und dann eine finanzielle Anerkennungsleistung zu gewähren. Der betroffenen Person wird bei der Antragsstellung höchstmögliche Anonymität zugesichert, d.h. es werden nur die Daten an die Landeskirche weitergegeben, die für die Auszahlung einer Anerkennungsleistung notwendig sind. Weder der Kirchenkreis Bremervörde-Zeven noch die Kirchengemeinde Elsdorf sind damals über den anerkannten Fall informiert worden. 

Die Kommission hat 2014 der betroffenen Person eine Anerkennungsleistung zuerkannt. Die beschuldigte Person war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben, deshalb kam ein Disziplinarverfahren nicht mehr in Frage. Die Tat, auf die sich die Vorwürfe beziehen, wäre zudem verjährt gewesen. Deshalb erfolgte auch keine Meldung an Strafverfolgungsbehörden. Eine Aufarbeitung anzustoßen, war nicht Aufgabe der Anerkennungskommission. Von Seiten der betroffenen Person gab es in der Folge keine Kontaktaufnahme mehr mit der Landeskirche.

Nein! Vielen Kindern und Jugendlichen sind durch die Aufnahme in Familien in unserer Gemeinde neue Chancen eröffnet worden. In den Unterlagen finden sich auch sehr positive Rückmeldungen dazu.

Nein! Es geht nicht darum, Menschen an den Pranger zu stellen. Allein aus Datenschutzgründen wäre das ohnehin nicht zulässig. Im Vordergrund steht, eine Aufarbeitung im Sinne der betroffenen Personen zu ermöglichen und dabei im Hinblick auf das eigene kirchliche Verhalten den geschehenen Missbrauch im Raum der Kirche zu benennen und die bisherigen Versäumnisse auch hinsichtlich der Aufarbeitung einzugestehen. Superintendent Carsten Stock sagt dazu: „Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen sollen nach meinem Verständnis Orte des Vertrauens sein. Dass Vertrauen insbesondere von Schutzbefohlenen missbraucht wurde, ist ein Skandal - genauso wie die in weiten Teilen fehlende und viel zu schleppende Aufarbeitung innerhalb der evangelischen Kirche. Deshalb setzen wir als Kirchengemeinde und Kirchenkreis für eine konsequente Aufarbeitung ein.“

In der oben genannten ForuM-Studie geht der Wissenschaftlerverbund in Bezug auf sexualisierte Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern aus, vermutet aber eine deutlich höhere Dunkelziffer. Ob und inwieweit die örtlichen Pfarrämter ähnlich wie in Elsdorf auch in anderen Gemeinden bei der Unterbringung von Heimkindern in Pflegestellen beteiligt gewesen sind, können wir zurzeit noch nicht sagen.

Uns liegen keinerlei Kenntnisse darüber vor, wie die Unterlagen, die im Juni 2024 auf dem Dachboden gefunden worden sind, dorthin gelangten. Es gibt auch keine Erklärung dafür, warum einige Akten auf dem Dachboden gelagert worden sind und andere Unterlagen im Archiv.

In kirchlichen Archiven wird häufig auf Anfrage gezielt nach spezifischen Dokumenten gesucht. Ohne entsprechenden „Suchauftrag“ werden die vorhandenen Unterlagen in der Regel nicht eigens bearbeitet. Zudem enthalten die vorgefundenen Unterlagen in ihrer Mehrheit eher unverdächtige Korrespondenzen zwischen Jugendämtern, den verschiedenen Stiftungen und dem Pfarramt.

Es war uns wichtig, dass die Veröffentlichung so schnell wie möglich geschieht, aber auch so verlässlich wie möglich vorbereitet wird, um einen verlässlichen Zwischenstand der Vorwürfe darstellen zu können. Das hat einige Zeit beansprucht. Zudem lag uns daran, dass unser Bemühen, die Geschehnisse aufzuarbeiten, nicht durch andere Themen und Schwerpunkte überlagert wurde. 

Der Kirchenvorstand hat sämtliche Dokumente der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Landeskirche Hannovers übergeben. Zurzeit stimmen sich der Kirchenvorstand in Elsdorf und der Kirchenkreisvorstand über einen gemeinsamen Antrag auf Bildung einer Aufarbeitungskommission ab. Die Unterlagen werden digitalisiert und die Originalunterlagen dann der Staatsanwaltschaft zur Prüfung auf strafrechtliche Relevanz übergeben. Durch die Digitalisierung ist sichergestellt, dass betroffene Personen auch während der staatsanwaltschaftlichen Prüfung Einblick in die Akten nehmen können. 

Der Kirchenvorstand und der Kirchenkreisvorstand werden einen Antrag an die Landeskirche stellen, eine externe Kommission von Expert*innen oder ein Institut mit der Aufarbeitung zu beauftragen. Zu klären ist, inwieweit die Pestalozzi-Stiftung, aus der Kinder und Jugendlichen gekommen sind, und die staatlichen Jugendämter in den Aufarbeitungsprozess einbezogen werden. 

Für den Aufarbeitungsprozess halten wir es für wichtig, einer Beteiligung von Betroffenen oder von Betroffenenverbände größtmöglichen Raum zu geben.  Ein Abschlussberichtwird der Öffentlichkeit vollständig zugänglich gemacht. 

Je nach Umfang der Aufarbeitung kann ein Aufarbeitungsprozess mehrere Jahre dauern. Das ist auch in Elsdorf realistisch.

Alle, die in der Kirche beruflich mitarbeiten, sind verpflichtet, eine Grundlagenschulung zur Thematik „Prävention sexualisierte Gewalt“ zu besuchen. Das Anfang 2024 beschlossene Schutzkonzept des Kirchenkreises Bremervörde-Zeven sieht ebenso vor, dass bis zum 31.12.2024 die verantwortlichen Ehrenamtlichen in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen oder mit Menschen in Obhutsverhältnissen an dieser Grundlagenschulung nach den speziellen Standards der Landeskirche teilnehmen. Damit soll erreicht werden, dass alle Mitarbeitenden mit Sensibilität und themenspezifischen Kenntnissen das Schutzkonzept aktiv mittragen und -gestalten die sie mit einer Selbstverpflichtungserklärung durch ihre eigene Unterschrift bestätigen. Für den Bereich der Evangelischen Jugend sind regelmäßige Schulungen durch den Kirchenkreisjugenddienst als Teil der JULEICA-Schulungen in Zusammenhang mit dem Thema Kindeswohlgefährdung bereits seit Jahren verpflichtend.

Wir sind verpflichtet und wollen es uns als Kirchengemeinde zutrauen, uns dem Geschehenen zu stellen und entschieden für eine Anerkennung des erlittenen Unrechts und gegen jede Form sexualisierter Gewalt einzutreten. Dass Menschen von der Kirche als Institution enttäuscht sind, können wir verstehen. Wir wollen unsere Kraft dafür einsetzen, dass unsere Kirchengemeinde sein kann, was sie immer sein sollte: ein vertrauensvoller Raum, eine dem Schutz von Menschen verpflichtete Gemeinschaft, eine Gruppe, die die Kraft aufbringt, eigene Schuld und Versäumnisse einzugestehen und sich an die Seite derer zu stellen, denen Leid zugefügt wurde.